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Das Baltikum ( Kurland , Livland , Estland , Litauen ) | ||||||
IV. Das Baltikum und der Friedensvertrag von Brest-Litowsk am 3. März 1918 | ||||||
In einer Sitzung des Kronrats am 13. Februar 1918 entschied der Kaiser auf Drängen der Obersten Heeresleitung, aber gegen den Widerstand der Reichsregierung, Trotzkis Erklärung vom 10. Februar 1918 als Kündigung des Waffenstillstandes anzusehen und die militärischen Operationen nach Ablauf der siebentägigen Kündigungsfrist aufzunehmen. Dementsprechend begannen am 18. Februar die deutschen Truppen ihren Vormarsch nach Osten, und zwar in einem derartigen Tempo (“Eisenbahnfeldzug”), daß innerhalb von zwei Wochen der gesamte baltische Raum erobert worden war. ( > Karte ). Das Ziel der Heeresleitung, die Einnahme der russischen Hauptstadt Petrograd (Petersburg), kam in erreichbare Nähe. >44< Unter diesem Druck sah sich die sowjetische Regierung nach heftigen internen Auseinandersetzungen am 23. Februar gezwungen, die am 21. Februar ultimativ gestellten deutschen Bedingungen anzunehmen, so daß am 3. März 1918 der Friedensvertrag in Brest-Litowsk zwischen Rußland und den Mittelmächten unterzeichnet wurde. Gemäß Artikel 3 des Friedensvertrages wurden Litauen , Kurland , Riga und Umgebung sowie die balti- schen Inseln aus der russischen Staatshoheit herausgelöst, wobei es Deutschland überlassen blieb, über das künftige Schicksal dieser Gebiete “im Benehmen mit deren Bevölkerung” zu entscheiden. Hinsichtlich Estlands und Livlands wurde in Artikel 6 festgelegt, daß sie unverzüglich von russischen Truppen geräumt und vor- übergehend von einer deutschen “Polizeimacht” besetzt werden. Außerdem seien alle verhafteten und ver- schleppten Estländer und Livländer von Rußland sofort freizulassen und zurückzuführen. Wenige Tage später, am 8. März 1918, beschloß der kurländische Landesrat unter Bezugnahme auf Artikel 3 des Friedensvertrages, Kaiser Wilhelm II. die Herzogskrone Kurlands anzubieten und eine möglichst enge militärische und wirtschaftliche Verbindung Kurlands mit dem Deutschen Reich durch Abschluß von Konventionen anzustreben und verfassungsmäßig sicherzustellen. Es wurde die Hoffnung geäußert, daß Kurland mit Livland und Estland schließlich staatlich zusammengefaßt “dem Deutschen Reiche dauernd angegliedert werden möge”. >45< Am 15. März 1918 trug eine kurländische Abordnung diesen Beschluß dem Reichskanzler vor. Der Reichskanzler erwiderte, daß Kurland als unabhängiges Herzogtum von Deutschland anerkannt und wegen der Annahme der Herzogskrone noch eine kaiserliche Entscheidung erfolgen werde. Er verwies aber auf die Not- wendigkeit, die kurländische Landesvertretung auf eine breitere Grundlage zu stellen. So entsprach der Reichs- kanzler nur hinsichtlich der Anerkennung als Herzogtum den Wünschen des kurländischen Landesrates. Weitergehend legte er sich jedoch nicht fest, weil, wie er am 12. März 1918 gegenüber Vertretern der Mehr- heitsparteien meinte, “der weitere Gang der Entwicklung abgewartet” werden müsse. >46< In Litauen beschloß der Landesrat am 16. Februar 1918 erneut eine Unabhängigkeitserklärung, um hierdurch die endgültige deutsche Anerkennung, die er durch die Brester Friedensverhandlungen für gefährdet hielt, zu beschleunigen. >47< Jedoch erst als der Landesrat die enge Bindung Litauens an das Deutsche Reich bekräftigte, wurde die Selbständigkeit Litauens am 23. März 1918 von Deutschland offiziell anerkannt. >48< Während so die Litauer von Deutschland ihre Selbständigkeit - wenngleich mit Einschränkungen - erreichten, war in dieser Hinsicht die Situation der Letten und Esten im Herbst 1918 erheblich ungünstiger. Die für Kurland, dem südlichen Siedlungsgebiet der Letten, vorgesehene Erweiterung der Landesvertretung hätte zwar die lettischen Mitwirkungsmöglichkeiten vergrößert, aber an der Vorherrschaft der dortigen Deutsch- balten, sofern überhaupt, wohl nur wenig geändert. In Estland übertrug der im November 1917 gebildete Ältestenrat des estnischen Landtages am
Anders als im Falle Litauens war die deutsche Besatzungsmacht nicht bereit, mit den Esten und Letten über die Verwirklichung ihres Selbstbestimmungsrechts zu verhandeln. Als sich Ende Januar 1918 die Gelegen- heit ergab, mit estnischen Politikern in Stockholm Verhandlungen zu führen, wurde sie von der deutschen Regierung nicht wahrgenommen. >49< Offenbar befürchtete die Reichsregierung innenpolitische Auseinander- setzungen, weil die Heeresleitung eine derartige Kontaktaufnahme als unzulässige Einmischung in die Zuständigkeit ihrer Militärverwaltung mit größter Schärfe zurückweisen würde. Hingegen lehnten es die maßgebenden estnischen und lettischen Politiker ab, lediglich als Erfüllungs- gehilfen der deutschen Militärbehörden zu dienen und blieben, soweit sie nicht in den Westen emigriert waren, der deutschen Besatzungspolitik gegenüber oppositionell eingestellt. So konnte sich die Besatzungspolitik der Obersten Heeresleitung, abgesehen von einigen konservativen Esten und Letten, nur auf die bereitwillige Mitarbeit der Deutschbalten stützen. Die politisch relevanten Kreise der Deutschbalten dachten jedoch noch weitgehend in traditionellen Vorstellungen, wie sie sich während vieler Jahrhunderte ihrer Herrschaft ausgeprägt hatten. Deshalb standen sie dem von Esten und Letten geforderten Selbstbestimmungsrecht verständnislos und ablehnend gegenüber. Charakteristisch hierfür ist wohl, was gleich nach dem Abzug der sowjetischen Truppen ein “Deutsches Extrablatt” in Dorpat schrieb: “Sie (die Deutschen) kommen! Gott sei Dank, jetzt ist Schluß mit dem dummen Geschwätz vom `Selbstbestimmungsrecht´”. >50< Im März 1918 hatten die Beziehungen zwischen der deutschen Besatzungsmacht und den Deutschbalten einerseits und den nach Selbständigkeit strebenden Esten und Letten andererseits einen Tiefpunkt erreicht, der, was das estnische und lettisch Bürgertum anbetraf, auch durch die gemeinsame Furcht vor dem Bolschewismus kaum überwunden werden konnte. > Weiter | ||||||
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